Delegation ärztlicher Handlungen
     

Delegation ärztlicher Handlungen

Auch im Pflegebereich nimmt das Thema "Recht" einen immer größeren Raum ein. Der "mündige Bürger" lässt sich nicht mehr ein A für ein O vormachen.

 

Immer wieder kommt es zu Problemen, Fragen etc., wenn ärztliche Handlungen an Pflegekräfte delegiert werden.
Achtung! Alle Angaben sind ohne Gewähr, das Copyright liegt bei den entsprechenden Autoren!

Inhaltsverzeichnis

Voraussetzungen

Es gibt (noch) keine gesetzlichen Regelungen, die die Zulässigkeit des Delegierens ärztlicher Tätigkeiten auf Pflegekräfte regeln, vielmehr haben sich in Rechtsprechung und Literatur Grundsätze herausgebildet, nach denen die Zulässigkeit des Delegierens im Einzelfall zu beurteilen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Grundsätze im wesentlichen aus dem Krankenhausbereich stammen und die Übertragbarkeit auf Pflegeeinrichtungen besonders geprüft werden muss.

Unbestritten ist inzwischen, dass das Delegieren ärztlicher Aufgaben auf nichtärztliches Personal in begrenztem Umfang zulässig ist. Schon das Reichsgericht hielt die Delegation ärztlicher Tätigkeiten auf nichtärztliches Personal dem Grunde nach für rechtlich zulässig. Seit 1974 besteht in der arztrechtlichen Literatur Einigkeit über die einzelnen Delegationsvoraussetzungen:

Die Delegation ärztlicher Tätigkeiten auf nichtärztliches Personal ist rechtlich zulässig, wenn

  • der Patient es erlaubt,
  • der Arzt es erlaubt,
  • der nichtärztliche Mitarbeiter es sich erlaubt.

Im einzelnen gilt, dass die Übertragung ärztlicher Aufgaben auf Pflegekräfte dann zulässig ist, wenn

  • der Patient mit der Behandlungsmaßnahme und der Durchführung durch Pflegekräfte einverstanden ist,
  • die Maßnahme vom Arzt verordnet wurde,
  • die Art des Eingriffes das persönliche Handeln des Arztes nicht erforderlich macht,
  • die ausführende Pflegekraft zur Durchführung der Maßnahme befähigt ist,
  • die Pflegekraft zur Ausführung der ärztlichen Aufgabe bereit ist, sofern nicht ausnahmsweise eine entsprechende Verpflichtung besteht.

Das Setzen einer Injektion, die Katheterisierung, die Blutentnahme oder das Legen einer Magensonde ist vom juristischen Standpunkt aus stets als Körperverletzung zu werten. Nur die Einwilligung des Patienten lässt die Rechtswidrigkeit der "Tat" entfallen. Jede ärztliche, aber auch jede pflegerische Maßnahme bedarf grundsätzlich der Einwilligung der Betroffenen, um nicht unter Umständen als rechtswidrige Straftat zu erscheinen. Eine Einwilligung ist überdies nur dann wirksam, wenn der Arzt den Patienten gewissenhaft über die Bedeutung und Tragweite der Behandlung einschließlich der damit verbundenen Gefahren aufgeklärt und alternative Behandlungsmöglichkeiten erläutert hat; es sei denn, der Patient wünscht ausdrücklich keine Aufklärung. Dies gilt auch bei dementiell erkrankten Menschen, bei denen gegebenenfalls (auch) der Betreuer aufzuklären ist. In aller Regel kann von einer (zumindest stillschweigenden) Einwilligung des Patienten gegenüber der vom Arzt verordneten Behandlung ausgegangen werden, wenn dieser der Behandlung nicht widerspricht. Lässt aber der Patient erkennen, dass er die Behandlung nicht wünscht, so muss die Durchführung unterbleiben, gegebenenfalls ist der behandelnde Arzt zu benachrichtigen. Gegen den erklärten Wunsch des Patienten, vom Arzt persönlich behandelt zu werden, darf sich weder der Arzt noch die Pflegekraft hinwegsetzen. Eine Behandlung gegen den Willen des Patienten ist strafrechtlich als vorsätzliche Körperverletzung zu werten. Dabei ist es gleichgültig, ob die Behandlung fehlerlos und "zum Vorteil" des Patienten durchgeführt wird.

Ärztliche Behandlungsmaßnahmen müssen stets vom Arzt verordnet werden. Eine eigenmächtige Behandlung durch Pflegekräfte ist unzulässig. Die Verordnung des Arztes muss darüber hinaus präzise sein ("bei Bedarf" ohne exakte Beschreibung der Bedarfslagen ist unzureichend). Bei komplikationslosen und auf Dauer angelegten therapeutischen Maßnahmen kann der Arzt längerfristige Verordnungen treffen.

Telefonische Veranlassungen und "Ferndiagnosen" sind, abgesehen von Notfallsituationen, in aller Regel unverantwortlich. Der Arzt verletzt damit die ihm obliegende Pflicht, sich ein eigenes Bild vom Zustand des Patienten zu machen und eine hierauf beruhende therapeutische Entscheidung zu treffen. Notwendig ist die schriftliche Dokumentation der ärztlichen Verordnung. Der Arzt ist seinerseits standesrechtlich dazu verpflichtet, eine Dokumentation zu führen. Bei der Kooperation zwischen Arzt und Pflegeeinrichtung sollte von vornherein klargestellt werden, dass Pflegekräfte nur dann ärztliche Verordnungen ausführen, wenn diese schriftlich in der Pflegedokumentation niedergelegt wurden.

Ärztliche Behandlungsmaßnahmen wie Injektionen, Katheterisierung usw. fallen grundsätzlich in den Aufgabenbereich des Arztes. Ist aufgrund der Art der Behandlung, des Gesundheitszustandes des Patienten oder der Komplikationsgefahr das persönliche Tätigwerden des Arztes erforderlich – dies ist bei technisch schwierigen Eingriffen und der Verabreichung potentiell gefährlicher Mittel stets der Fall – so darf der Arzt die Aufgabe nicht auf Pflegekräfte übertragen. Im Bereich der Familienpflege sind die möglichen Gefahren in besonders gewissenhafter Weise zu prüfen und das persönliche Tätigwerden des Arztes ist mehr als im Krankenhausbereich geboten, da im Heim und erst recht in der ambulanten Pflege ein Einschreiten bei Komplikationen nicht kurzfristig möglich ist.

Die Pflegekräfte müssen für die Mitarbeit bei ärztlicher Diagnostik und Therapie über die entsprechende Qualifikation verfügen. Unterschieden wird zwischen der formellen und materiellen Qualifikation. Während sich die formelle Qualifikation auf den Ausbildungsabschluss bezieht, stellt die materielle Qualifikation auf das tatsächliche Können der einzelnen Pflegekraft ab. Krankenpflegekräfte, in der Regel auch FamilienpflegerInnen, lernen in ihrer Ausbildung die Techniken der subkutanen und intrakutanen Injektionen einschließlich der dazugehörigen anatomischen und pathophysiologischen und pharmakologischen Kenntnisse. Ihre formelle Qualifikation, d.h. ihr Ausbildungsabschluss, lässt auf das tatsächliche Können dieser dem ärztlichen Bereich zuzuordnenden Verrichtungen schließen. Dennoch kommt es in der Praxis jeweils darauf an, ob die Pflegekräfte auch tatsächlich über das Können und die Kenntnisse verfügen. Hiervon muss sich die Pflegeeinrichtung und gegebenenfalls auch der Arzt ein Bild machen. Rechtlich maßgebend für die haftungsrechtliche Unbedenklichkeit von Injektionen durch Pflegekräfte ist die individuelle Befähigung. Allein die Qualifikation als examinierte Krankenpflegekraft oder staatlich geprüfte Familienpflegekraft reicht aber als Nachweis für die Befähigung – ihr kommt lediglich Indizwirkung zu – nicht aus.

In der Delegation ärztlicher Aufgaben auf nicht hinreichend qualifizierte Pflegekräfte ist ein Behandlungsfehler zu sehen, der bei einem Zwischenfall ohne Nachweis eines Fehlers in der Durchführung (etwa unsteril oder technisch falsch) zur Schadenersatzpflicht führen kann.

Da die Vornahme ärztlicher Verrichtungen grundsätzlich nicht zum Aufgabenbereich des Heimes, des ambulanten Dienstes und der Pflegekräfte gehört, kommt es bei dem Delegieren auch auf die Bereitschaft der Pflegekraft zur Übernahme ärztlicher Aufgaben an.

Pflegekräften steht ein Weigerungsrecht zu, wenn sie sich der Aufgabe nicht gewachsen fühlen, die Aufgabe ihnen zu gefährlich erscheint, sie keine Kenntnisse über das zu applizierende Medikament besitzen, sie die Technik nicht beherrschen oder die ärztliche Unterweisung und Anleitung nicht vorgenommen wurde. Einer entsprechenden Weiterbildung kann sich Pflegepersonal grundsätzlich nicht verschließen, zumindest solange es sich um die Anleitung zu venösen Blutentnahmen und subkutanen Injektionen handelt, die sie später routinemäßig in unproblematischen Fällen vorzunehmen haben. Bei Komplikationen, in denen Unklarheiten durch ärztliche Weisung nicht zu beseitigen sind, besteht das Weigerungsrecht jedoch auch hier fort.

Den Pflegekräften steht u.E. weiterhin ein Weigerungsrecht zu, wenn der Heimträger bzw. der Träger des ambulanten Dienstes nicht sicherstellt, daß ärztlicherseits die entsprechenden Verordnungen schriftlich erteilt werden – sowohl die Verordnung als auch das Delegieren – und somit eine haftungsrechtliche Absicherung für das Pflegepersonal geschaffen wird. Es ist ein allgemeiner arbeitsrechtlicher Grundsatz, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung zurückhalten kann, wenn der Arbeitgeber bzw. der entsprechende Vorgesetzte seine Pflichten nicht erfüllt.

Pflegekräfte müssen sich schließlich weigern, ärztliche Tätigkeiten zu übernehmen, wenn die Vornahme erkennbar den Strafgesetzen zuwiderläuft. Dies ist beispielsweise bei der Anordnung, gegen den Willen eines Patienten eine Injektion zu verabreichen, der Fall. In jedem Fall haben Pflegekräfte, bevor sie ärztliche Aufgaben übernehmen, zu prüfen, ob sie die geforderte Tätigkeit beherrschen, hierzu angeleitet wurden und die erforderlichen Informationen für die Behandlung und über den Patienten besitzen.

In Notfällen – etwa lebensbedrohlichen Zuständen, ohne die Möglichkeit, rechtzeitig Hilfe durch Arzt oder Pflegedienstleitung zu holen – müssen Pflegekräfte die erforderlichen Maßnahmen nach ihrem besten Wissen und ihren Fähigkeiten durchführen; ein Weigerungsrecht besteht hier nicht.

An welche Pflegekräfte darf delegiert werden? Nach oben

In der Familienpflege kommen als Berufsgruppen, die ärztliche Tätigkeiten durchführen können, sowohl examinierte Krankenschwestern und –pfleger sowie Familienpflegerinnen und –pfleger in Betracht. Die Möglichkeit, an Krankenpflegepersonal zu delegieren, ist unbestritten. Umstritten war bislang die Möglichkeit, auch auf Familienpflegekräfte ärztliche Tätigkeiten zu übertragen. Der unterschiedliche Ausbildungsstandard spielt hier eine wesentliche Rolle. Es erscheint jedoch von fachlicher Seite her unberechtigt, Familienpflegekräfte grundsätzlich aus dem Kreis der medizinischen Hilfsberufe auszuklammern, an die ärztliche Aufgaben delegiert werden können. Die Familienpflegeausbildung ist in vielen, wenn auch nicht in allen Ausbildungsstätten, auch in medizinischen Fächern so umfassend, dass Familienpflegekräfte in Heimen wie auch in Sozialstationen für die dort typischerweise anfallenden pflegerischen Aufgaben grundsätzlich als ebenso qualifiziert angesehen werden können wie Krankenpflegepersonal. Allerdings wird man – aufgrund der unterschiedlichen Ausbildungsstandards – auf die individuelle Unterweisung und Überwachung der Pflegekräfte besonderen Wert legen müssen. Entscheidend ist nicht so sehr die formelle Qualifikation (Ausbildungsabschluss), sondern die materielle Qualifikation (Können) der Pflegekraft.

Auf Auszubildende dürfen ärztliche Tätigkeiten nur dann übertragen werden, wenn die Ausführung zunächst unter Aufsicht (in Anwesenheit) des Arztes oder (bei einfachen Verrichtungen) einer besonders instruierten Pflegekraft erfolgt und später (im 2. oder 3. Ausbildungsjahr) regelmäßig überprüft wird.

Welche ärztlichen Tätigkeiten dürfen delegiert werden ? Nach oben

Injektions-, Infusions- und Punktionstätigkeiten sowie Katheterisierung und das Legen von Sonden unterfallen ausschließlich der ärztlichen Kompetenz. Ob diese Aufgaben delegiert werden können oder nicht, richtet sich allein nach der objektiven Gefährlichkeit des Eingriffs und der Qualifikation der Pflegekraft, an die diese Aufgabe delegiert werden soll.

Angesichts ihrer relativen Ungefährlichkeit sind Blutentnahmen aus Ohr und Finger, aber auch venöse Blutentnahmen, auf examinierte, aber auch andere entsprechend unterwiesene Pflegekräfte delegierbar.

Bei Injektionen ist die Ansicht verbreitet, die Delegationsfähigkeit richte sich nach einer Art Stufentheorie, wonach subkutane Injektionen auf jeden Fall, je nach Kenntnis und Fähigkeiten intramuskuläre Injektionen und Blutentnahmen erlaubt, dagegen intravenöse Injektionen, Infusionen und Transfusionen nicht erlaubt seien. Dieser "Stufentheorie" kann nicht gefolgt werden. Es gibt durchaus Medikamente, die sowohl intramuskulär als auch intravenös injiziert werden können, die aber angesichts ihrer Gefährlichkeit überhaupt nicht durch nichtärztliches Personal, schon gar nicht in Pflegeeinrichtungen, verabreicht werden dürfen.

Medikamente, die in keinem Fall von nichtärztlichem Personal verabreicht werden dürfen, sind:

  • alle Röntgen-Kontrastmittel,
  • Herzmittel wie Strophantin,
  • alle Zytostatika,
  • alle Medikamente, bei denen häufiger Zwischenfälle beobachtet worden sind, z.B. Macrodex, Revarin usw.

Sofern der Spritzeninhalt nicht außerordentlich gefährlich ist, kann in einem zweiten Schritt auf die Injektionstechnik abgestellt werden.

Angesichts der Einfachheit der Technik und der geringen Komplikationsgefahr bei meist komplikationslosen Medikamenten (etwa Insulin, Heparin in geringen Dosen), können subkutane und intrakutane Injektionen nicht nur auf examinierte Krankenpflege- und Familienpflegekräfte, sondern auch auf PflegehelferInnen delegiert werden. Bei entsprechender materieller Qualifikation (zu vermitteln etwa durch Fortbildung, spezielle Anleitung und Unterweisung sowie Kontrolle) kann die Durchführung subkutaner und intrakutaner Injektionen auch an andere Pflegehilfskräfte delegiert oder im häuslichen Bereich von geschulten Angehörigen übernommen werden (sog. einfache Behandlungspflege). Das Erlernen von subkutanen Injektionen kann zumindest von examiniertem Pflegepersonal grundsätzlich nicht abgelehnt werden.

Intramuskuläre Injektionen sind nicht ungefährlich, sowohl im Hinblick auf die Technik als auch im Hinblick auf das zu applizierende Medikament. Zwischenfälle, die teilweise zu erheblichen Dauerschäden führen (z.B. Spritzenlähmung) weisen auf die Gefährlichkeit hin. Von der formellen Qualifikation her betrachtet, kommen zunächst nur examinierte Krankenpflegekräfte für die Übernahme intramuskulärer Injektionen in Betracht. Bei ihnen kann davon ausgegangen werden, dass sie in ihrer Ausbildung sowohl die Technik als auch die möglichen Zwischenfälle und ihre Beherrschung erlernen. Dies gilt dann auch für FamilienpflegerInnen, wenn sie in ihrer Ausbildung, die leider noch nicht einheitlich geregelt ist, die entsprechenden Techniken und Kenntnisse erlernt haben. Wurden die Fähigkeiten und Kenntnisse nicht in der Ausbildung vermittelt, so können sie auch später im Zusammenhang mit Fortbildung und am Arbeitsplatz vermittelt werden: Intramuskuläre Injektionen sind erlernbar. Hier bedarf es dann aber des besonderen Nachweises und der Feststellung der (materiellen) Qualifikation, etwa in Form eines Spritzenscheines. Gerade in Pflegeeinrichtungen kann jedoch von Pflegekräften angesichts der Gefährlichkeit intramuskulärer Injektionen und des Umstandes, dass Ärzte nicht immer zur Verfügung stehen, die Übernahme intramuskulärer Injektionen nicht verlangt werden. Fühlen sie sich der Aufgabe nicht gewachsen, so steht ihnen ein Weigerungsrecht zu.

Aufgrund der schwierigen Technik und vor allem wegen der schnellen Wirksamkeit der Injektionsmittel, bleibt die Durchführung intravenöser Injektionen in Pflegeeinrichtungen grundsätzlich den Ärzten vorbehalten. Allenfalls können diese Aufgaben besonders zusätzlich qualifizierten, examinierten Pflegekräften übertragen werden, die über die entsprechenden Kenntnisse sowohl in anatomischer als auch pharmakologischer Hinsicht verfügen. Das gleiche gilt für intravenöse Infusionen. Das Einspritzen von Medikamenten in den Infusionsschlauch oder in die Infusionsflasche ist der intravenösen Injektion gleichzustellen. Diese Tätigkeiten bleiben grundsätzlich dem Arzt vorbehalten. Das Legen von subkutanen Infusionen mit Kochsalzlösungen sowie das Anschließen von Kochsalzlösungen bei intravenöser Infusion zur Sicherstellung einer ausreichenden Flüssigkeitszufuhr ist angesichts der geringen Komplikationsdichte auf entsprechend qualifizierte, examinierte Pflegekräfte delegierbar.

Das Legen, Entfernen, Wechseln von Kathetern ist ebenso wie das Verabreichen von Injektionen ärztliche Tätigkeit. Der Katheterismus wird als operativer Eingriff gewertet, der grundsätzlich besonderes ärztliches Fachwissen voraussetzt. Entsprechend bedarf die Delegation der Katheterisierung auf Pflegepersonal einer besonders strengen Indikation. Das Legen eines Blasenkatheters wird der intramuskulären Injektion gleichgestellt und kann unter den für die IM-Injektionen dargestellten Bedingungen an gut ausgebildete Pflegekräfte delegiert werden. Die Übertragung der Durchführung des Katheterismus setzt eine präzise Verordnung des Arztes voraus, mit der die Maßnahmen wie Harngewinnung für bakteriologische Untersuchungen und Restharnbestimmungen sowie das Legen und Wechseln eines Dauerkatheters gegebenenfalls mit Spül- oder Installationsbehandlung zu bezeichnen sind. Bei Komplikationen, z.B. Harngrieß, ist gegebenenfalls der Arzt zu benachrichtigen. Harnwegsinfektionen stehen an erster Stelle der im Krankenhaus und in Pflegeeinrichtungen erworbenen Infektionen. Wichtig ist, dass das Legen eines Katheters unter sterilen Bedingungen erfolgt und insgesamt standardgerecht im Sinne der Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes in Medizin und Pflege durchgeführt wird.

Das Anlegen eines Kondomurinals ist anders als das Legen eines Katheters bedenkenlos dem pflegerischen Bereich zuzuordnen.

Mit der Weiterentwicklung der Medizintechnik und dem gesundheitspolitischen Bemühen, aus Kosten- aber auch aus humanitären Gründen weite Teile der Krankenhausbehandlung in den ambulanten Bereich zu verlagern, kommen immer mehr Aufgaben der Mitarbeit bei ärztlicher Diagnostik und Therapie auf die ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen zu. Bei der ambulanten Behandlung aidskranker Patienten werden sogar intensivmedizinische Versorgungen ambulant durchgeführt und in recht großem Umfang auf Pflegekräfte übertragen. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang insbesondere die enteralen und parenteralen Ernährungstechniken, etwa Magensonden, venöse Katheter, Portsysteme oder zentrale Venenkatheter. Die Delegation von ärztlichen Aufgaben im Zusammenhang mit diesen neuen Techniken bedarf der strengen Indikation und setzt eine besondere Schulung der mit diesen Aufgaben befassten Pflegekräfte voraus. Auch bedarf es klarer Kooperationsabsprachen zwischen behandelnden Ärzten und Pflegeeinrichtung. Aus konzeptionellen, aber auch aus humanitären Gründen kann es durchaus sinnvoll sein, bestimmte ärztliche Verrichtungen in Pflegeeinrichtungen durch Pflegekräfte durchführen zu lassen. Auf diese Weise kann gegebenenfalls einer Krankenhauseinweisung von Patienten vorgebeugt und die Begleitung Sterbender in ihrer gewohnten Umgebung ermöglicht werden. Sowohl von Ärzten als auch von den Pflegeeinrichtungen sind hier besonderes Engagement und Verantwortung gefragt.

Die Übernahme ärztlicher Verrichtungen durch MitarbeiterInnen von Pflegeeinrichtungen bindet Arbeitszeit von besonders qualifizierten Kräften. Notwendig ist die ausreichende Honorierung der Übernahme dieser Aufgaben durch die Krankenkassen. Auch nach Einführung der Pflegeversicherung bleiben sie – im ambulanten Bereich – zuständig für die Finanzierung ärztlicher Leistungen, auch wenn diese auf Pflegekräfte delegiert wurden.

Verordnungs- und Handlungsverantwortung Nach oben

Soweit Pflegekräfte befähigt und bereit oder ausnahmsweise verpflichtet sind, ärztliche Aufgaben zu übernehmen und die jeweilige Einrichtung die Durchführung auf das Pflegepersonal überträgt, stellt sich die Frage, wer die Verantwortung für die Verordnungen und die Durchführung der ärztlichen Behandlung trägt. Zu unterscheiden ist hier zwischen sog. Verordnungs- und Durchführungsverantwortung.

Die ärztlichen Verordnungen der Applikation fallen allein in die Verantwortung des Arztes. Bei Unverträglichkeit des Medikamentes, Auftreten von Komplikationen oder diagnostischen und therapeutischen Fehlentscheidungen haftet allein der Arzt.

Übernimmt die Pflegeeinrichtung die Durchführung der ärztlichen Maßnahmen, so haften die Einrichtung und die ausführenden MitarbeiterInnen für die fachgerechte Durchführung im Rahmen der ärztlichen Verordnung. Wurde beispielsweise vom Arzt eine fehlerhafte Verordnung im Hinblick auf die Durchführung eines Katheterismus gegeben und kommt es in der entsprechenden Ausführung der Verordnung zu einem Zwischenfall, so haftet der Arzt. Führt demgegenüber eine Pflegekraft die Verrichtung unsorgfältig durch (z.B. unsteriles Legen eines Katheters) oder lässt das Heim auch nicht qualifiziertes Personal ärztliche Maßnahmen durchführen, so haftet im Rahmen der Durchführungsverordnung das Heim bzw. die Pflegekraft.

Die Verantwortung für die Pflegehandlungen trägt die jeweilige Pflegekraft selbst. Sie hat zu prüfen, ob sie sich der Aufgabe gewachsen fühlt, ob sie die Qualifikation besitzt und ob die Durchführung der Maßnahme rechtmäßig ist (Lehnt der Patient etwa die Behandlung ab ?). Die Maßnahmen selbst hat sie sorgfältig (standardgerecht) zu erbringen. Die Handlungsverantwortung in diesem Sinne nimmt der Pflegekraft kein Vorgesetzter und kein Arzt ab: Für unser Tun sind wir stets selbst verantwortlich.

Bei arbeitsteiligem Zusammenwirken von Arzt und Pflegekräften können beide Seiten grundsätzlich davon ausgehen, dass der andere fachlich verantwortlich handelt,

  • die Pflegekraft bzw. die Einrichtung bezüglich der therapeutisch-ärztlichen Entscheidung,
  • der Arzt hinsichtlich einer ordnungsgemäßen Durchführung seiner Verordnungen im Rahmen der getroffenen Kooperationsvereinbarungen.

Die Beteiligten dürfen sich aber auch nicht blind vertrauen. Sofern ein konkreter Anhaltspunkt für ein fehlerhaftes Handeln des anderen vorliegt, bedarf es des Einschreitens. Zurückzuweisen sind jedoch Eingriffe in die jeweiligen Kompetenzbereiche der Kooperationspartner: Die Pflegekraft kann den behandelnden Ärzten keine bestimmten diagnostischen oder therapeutischen Entscheidungen abverlangen, etwa: Verordnen Sie bitte Frau X. das Medikament Y. Ebenso kann der Arzt der Pflegekraft keine Anordnungen für die Fachpflege geben, etwa die RR-Kontrollen zu unterlassen, die im Rahmen der sog. "Grundpflege" zur standardgerechten Krankenbeobachtung gehören.

Weitere mögliche Gründe für das Zurückweisen ärztlicher Verordnungen bzw. Entscheidungen:

  • Patient wurde trotz Möglichkeit nicht über Verordnung aufgeklärt und wünscht dies,
  • Verordnung ist offensichtlich "kunstfehlerhaft",
  • Patient lehnt Medikament ab.
Auswahl, Anleitung und Überwachung der Pflegekräfte Nach oben

Ein Vorgesetzter im Pflegebereich darf niemals gestatten, daß die ihm zugeordneten MitarbeiterInnen ohne weiteres ärztliche Verrichtungen durchführen. Er würde sich damit dem Vorwurf ungewöhnlicher Sorglosigkeit aussetzen (BGH NJW 19979, 1935 f.) und damit seine Aufsichts-, Organisations- und Überwachungspflicht grobfahrlässig verletzen.

Neben der Verantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung tragen Pflegeeinrichtungen eigene Verantwortung für die Auswahl, Anleitung und Überwachung der Pflegekräfte, die die ärztlichen Maßnahmen durchführen. Wenn Pflegeeinrichtungen bereit sind, Pflegekräften ärztliche Verrichtungen zu übertragen, so übernehmen Sie eine erhebliche Mitverantwortung, die aus der selbständigen Durchführung ärztlicher Verrichtungen resultiert. Anders als im Krankenhausbereich stehen Arzt und Pflegeeinrichtung i.d.R. in keinem vertraglichen Verhältnis zueinander. Der Arzt hat lediglich einen Behandlungsvertrag mit seinen Patienten. Der Arzt verfügt über keine Weisungsrechte gegenüber dem Pflegepersonal. Die Tätigkeit erfolgt zwar auf Veranlassung des Arztes, wird aber in der Durchführung selbständig und i.d.R. ohne ärztliche Mitwirkung und Beaufsichtigung durchgeführt.

Aus dieser Konstellation ergeben sich auch Folgerungen für die juristische Beurteilung der Voraussetzungen für die Delegation. Es ist praxisfern, zu verlangen, dass jeder behandelnde Arzt, der einen Heimbewohner/Patienten versorgt und ärztliche Verrichtungen delegiert, sich von der Fähigkeit der einzelnen Pflegekraft in der Pflegeeinrichtung überzeugt, Injektionen vorzunehmen, Katheter zu versorgen usw., ihr persönlich die Vornahme überträgt (bzw. übertragen lässt), sie instruiert und schließlich dabei stichprobenmäßig die Vornahme daraufhin überprüft, ob sie auch ordnungsgemäß erfolgt. Aus diesen Gründen ergibt sich die Aufgabe von Heim und Sozialstation, sicherzustellen, dass geeignetes Personal ausgewählt, angeleitet, instruiert und kontrolliert respektive weitergebildet wird. Hierzu müssen sie sich eines Arztes bedienen.

In diesem Zusammenhang ist die Entwicklung und Verwendung von sog. Spritzenscheinen oder Befähigungsnachweisen sinnvoll. Die Befähigungsnachweise gelten einerseits als Qualifikationsnachweis in Ergänzung zu der entsprechenden Ausbildung der einzelnen Pflegekraft, sie stellen andererseits aber vor allem eine Organisationserleichterung für die Pflegeeinrichtung und die behandelnden Ärzte dar. Die Befähigungsnachweise ersetzen keinesfalls eine ärztliche Instruktion und Anleitung. Sie dienen auch nur als Qualifikationsnachweis für speziell aufgeführte Tätigkeiten. Aus diesem Grunde müssen Befähigungsnachweise unterschiedliche Techniken ausweisen, in die unterwiesen wurde, etwa: subkutane Injektionen, intramuskuläre Injektionen, Blutentnahmen aus der Vene, Katheterismus, Anlegen von subkutanen Infusionen, Legen von Magensonden. Die Befähigungsnachweise gelten zeitlich nicht unbegrenzt, vielmehr sind entsprechende Weiterbildungen und Überprüfungen zu vermerken, um den Nachweis zu erbringen, dass die Pflegekraft auch "heute noch" über die entsprechende Befähigung verfügt. Diese Befähigungsnachweise sind in erster Linie aus haftungsrechtlichen Gründen (Entlastungsbeweis für den Träger, § 831 BGB) und aus organisatorischen Gesichtspunkten für Pflegeeinrichtung und Arzt nützlich. Für die Pflegekräfte stellen die Befähigungsnachweise als solche kaum Hilfe in haftungsrechtlichen Auseinandersetzungen dar.

Für sie werden "Spritzenscheine" aber dann sinnvoll, wenn in ihnen eine Haftungsübernahme des Trägers für alle nicht vorsätzlich (also auch die grob fahrlässig) verursachten Schäden im Zusammenhang mit der Durchführung ärztlicher Verrichtungen verbrieft wird (ärztliche Verrichtungen haben im Pflegeheimbereich wie in der ambulanten Pflege grundsätzlich als gefahrgeneigte Arbeit zu gelten). Ebenso vermittelt es den Pflegekräften Sicherheit, wenn der Arbeitgeber sich verpflichtet, die Kosten eines Strafverfahrens im Zusammenhang mit der Durchführung ärztlicher Verrichtungen für die Pflegekraft zu übernehmen. Entsprechende versicherungsrechtliche Absicherungen sind für Heimträger usw. möglich.

Insgesamt ist zu beachten, dass Spritzenscheinen und anderen Befähigungsnachweisen sowohl in der zivil- als auch in der strafrechtlichen Beurteilung von haftungsrechtlichen Zwischenfällen nicht die entlastende Kraft zukommt, die ihnen weithin beigemessen wird.

Die Zulässigkeit des Delegierens ärztlicher Tätigkeit auf nichtärztliches Personal ist stets anhand des Einzelfalles zu beurteilen, die Erforderlichkeit ärztlichen Einschreitens, die Komplikationsgefahr usw. kann nur in der jeweiligen Situation eingeschätzt werden. Neben dem "Spritzenschein" ist daher eine ausführliche Pflegedokumentation unverzichtbar.

Hier sind ärztliche Verordnungen, besondere Hinweise für die Durchführung sowie die Delegation zu vermerken. Mittels der Pflegedokumentation kann festgestellt werden, ob die verordneten Maßnahmen vorgenommen wurden, von wem und auf wessen Verordnung z.B. Injektionen verabreicht wurden. Gleichzeitig kann in der Pflegedokumentation dem Arzt mitgeteilt werden, ob es zu Auffälligkeiten gekommen ist.

Dienst- und Fachaufsicht Nach oben

Die Leitung einer Pflegeeinrichtung hat dafür Sorge zu tragen, dass die Pflegekräfte verantwortlich ausgewählt, angeleitet und kontrolliert werden, dass der Pflegedienst gut organisiert ist und die Kooperation mit den Ärzten klar geregelt wird.

Dieses Recht und die Pflicht zur Führung, zur Kontrolle, zur Erteilung von Anweisungen und zur inneren Organisation einer Einrichtung kann in Anlehnung an das öffentliche Dienstrecht als "Dienstaufsicht" bezeichnet werden, die abzugrenzen ist von der "Fachaufsicht". Verantwortlich für die Anordnung und Durchführung sowie Kontrolle fachlicher Aufgaben sind die Fachkräfte, d.h. für den Bereich der Pflege die Pflegefachkräfte. Die mit diesen Aufgaben verantwortlich betrauten Fachkräfte – etwa die PDL – haben die Fachaufsicht in der Einrichtung.

Die Fachaufsicht obliegt notwendigerweise einer Pflegefachkraft. In diesem Zusammenhang wird auch vom "organisatorischen Fachvorbehalt" gesprochen. Pflegefachfragen dürfen auch auf Leitungsebene nur von Pflegefachkräften entschieden werden. An dem organisatorischen Fachvorbehalt findet die Organisationsfreiheit des Arbeitgebers ihre Grenze.

Der Leiter eines Heimes kann im Rahmen seiner Dienstaufsicht seinen Pflegekräften nicht vorschreiben, wie sie behandlungspflegerische Maßnahmen durchzuführen haben, dies wäre eine Kompetenzüberschreitung.

Checkliste: Fehlerquellen in der Kooperation Pflegeeinrichtung – Arzt Nach oben

Bei der verantwortlichen Gestaltung der Kooperation zwischen Pflegeeinrichtung und Ärzten ist insbesondere auf folgende Fehlerquellen, sowohl im Managementbereich als auch im Alltag der Pflege, zu achten:

  • Kommunikationsmängel:

    Ist dafür gesorgt, dass die Pflegekräfte ihre notwendigen Informationen seitens der Ärzte erhalten und ihrerseits auch kommunikativ in der Lage sind, ihre Fragen und Anliegen den Ärzten gegenüber zu vertreten ? (Bewährt haben sich Rhetorikkurse für Pflegekräfte.)
  • Koordinationsmängel:

    Bestehen klare Absprachen zwischen Pflegeeinrichtung und Ärzten dergestalt, dass bei gemeinsamer Aufgabenerledigung diese abgestimmt erfolgt ? Wird etwa dafür gesorgt, dass die notwendigen ärztlichen Verordnungen und Rezepte vorliegen, damit die ärztlichen Assistenztätigkeiten standardgerecht erfüllt werden?
  • Qualifikationsmängel:

    Wird dafür Sorge getragen, dass nur tatsächlich befähigstes Pflegepersonal mit der Übertragung von ärztlichen Assistenztätigkeiten betraut wird?
  • Kompetenzabgrenzungsmängel:

    Wird sichergestellt, dass die Verantwortungsmacht nicht Pflegekräften, etwa bezüglich der Vergabe von Psychopharmaka, übertragen wird? Sind die Kompetenzen bezüglich Pflegedienstleitung/Wohngruppenleitung/Einsatzleitung sowie zwischen Fachkraft und angelernten Pflegepersonen klar geregelt?
  • Dokumentationsmängel:

    Sieht die Kooperationsabsprache mit den Ärzten eine schriftliche ärztliche Verordnung vor und sind entsprechende Erledigungsvermerke in der Pflegedokumentation verbindlich vereinbart worden?
  • Rechtsschutzmängel:

    Wird darauf geachtet, dass in der Ausübung ärztlicher Assistenztätigkeiten Rechte der Betroffenen nicht verletzt werden, sei es durch unfreiwillige Medikamenteneinnahme, freiheitsentziehende Maßnahmen – ohne dass es hierfür eine (juristische) Rechtfertigung gibt?
Literaturhinweise: Nach oben
  • Böhme: Haftungsrecht, Stuttgart, 3. Auflage 1993
  • Niemann/Schöppe/Traub: Besondere Pflichten der Mitarbeiter, Münster, 2. Auflage 1985
  • Schell: Injektionsproblematik aus rechtlicher Sicht, Hagen, 1990
Copyright © 2000 Verein für Familienpflege e.V.

 

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